Die nachfolgenden wissenschaftlichen
Ausführungen habe ich der Internetseite www.lauftreff.de entnommen. Für den Inhalt sind ausschließlich die Autoren verantwortlich. |
Die Autoren:Dr. Oliver StollWissenschaftlicher Assistent am Institut für Sportpsychologie und Sportpädagogik der Sportwissenschaftl. Fakultät, Universität Leipzig, Jahnallee 59, 04109 Leipzig, Tel.: 0341/9731656, Internet: stoll@rz.uni-leipzig.de .Jochen RolleM.A. Dipl. Sportmanag. und Sportwissenschaftl. Anschrift s.o. |
Zur Erfassung der Persönlichkeitsprofile verwendeten wir das Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI-R) von Fahrenberg und Mitarbeiten (1984). Dabei handelt es sich um einen Fragebogen, bestehend aus 116 Adjektiven, die 12 verschiedenen Persönlichkeitseigenschaften bilden (Lebenszufriedenheit, Soziale Orientierung, Leistungsorientierung, Gehemmtheit, Erregbarkeit, Aggressivität, Beanspruchung, Körperliche Beschwerden, Gesundheitssorgen, Offenheit, Extraversion und Emotionalität). Der Einsatz dieses Instruments hat den Vorteil, daß es sich um ein, auch in der Sportpsychologie, weit verbreitetes, standardisiertes diagnostisches Verfahren handelt, so daß ein Vergleich mit anderen Studien möglich ist. Die Bewältigungsstrategien wurden mit dem Streßverarbeitungsfragebogen (SVF-K) von Janke und Mitarbeitern (1986) erhoben. Die Autoren betonen dabei, daß es sich bei den von diesem Instrument erhobenen Streßverarbeitungstrategien im Sinne von Selbstinstruktionen als Personenmerkmale aufzufassen sind, die relativ unabhängig von der Art der Belastungssituation sind. Hierbei handelt es sich um die Kurzform des Originalinstruments, bestehend aus 36 Selbstinstruktionen (die als Bewältigungsstrategien bezeichnet werden können), welche 6 Bewältigungskategorien (Ablenkung, Aktive Bewältigung, Aufgabe, Bagatellisierung, Pharmakaeinnahme(*1), Bedürfnis nach sozialer Unterstützung) bilden. Auch beim SVF-K handelt sich um ein verbreitetes, standardisiertes Instrumentarium, daß auch in der sportpsychologischen Forschung oft eingesetzt wird.
(*1)Um Mißverständnisse im Vorfeld auszuräumen. Es geht bei der Streßverarbeitungsstrategie "Pharmakaeinnahme weniger um das viel diskutierte Dopingproblem, sondern mehr um den alltäglichen Gebrauch von Genußmitteln bzw. Tabletten. (Beispiel: "...trinke ich erst einmal ein Glas Bier, Wein oder Schnaps").
Der FPI-R und Der SVF-K wurde mit einem kurzen Begleitschreiben an insgesamt 157 Ultra-Langstreckenläufer- und -läuferinnen versandt. Die Adressen der Probanden wurden dem Jahrbuch der Deutschen Ultramarathon Vereinigung (DVU) 1994 entnommen. Insgesamt 114 Probanden schickten uns die Fragebogen innerhalb von 4 Wochen ausgefüllt zurück. Das entspricht einer Rücklaufquote von 72,61%. Die rechtzeitig zurückgeschickten Fragebogen wurden ausgewertet und statistisch weiter analysiert. Ergebnisse
1. Soziodemographische Daten
Insgesamt konnten 114 vollständig ausgefüllte Fragebogen in die Datenanalyse miteinbezogen werden. Das Alter der Probanden (94 männlich, 20 weiblich) variierte zwischen 26 und 82 !! Jahren (Arithm. Mittel: 45,36, Std.abw. 9,92). 100 Probanden sind berufstätig, 2 sind eingeschriebene Studenten, 6 Rentner, 4 Hausfrauen- männer, 1 Proband gab an im eigenen Betrieb mitzuhelfen und 1 weiterer Proband ist arbeitslos. Leitende Angestellte (20,2%), Nichtleitende Angestellte (26,3%), Facharbeiter mit abgeschlossener Ausbildung (10,5%) und Beamte des höheren und gehobenen Dienstes (23,7%) bildeten den Hauptteil der Berufsgruppen in unserer Stichprobe. Von den 114 untersuchten Athleten sind 73,3% verheiratet, 15,8% ledig und 10,5% geschieden. 17,5% sind alleinlebend, 82,5% leben zusammen mit einem/einer Ehepartner/in oder Lebenspartner/in.
2. Sportartspezifische Leistungsfähigkeit
Zur Erfassung der sportspezifischen Leistungsfähigkeit wurden die Marathon- und 100 KM- Bestzeiten der Probanden erfragt. Die Marathonbestzeiten lagen zwischen 2:30 Std. und 4:15 Std. (Arithm. Mittel: 3:09, Std.abw. 0,408). Die 100 KM-Bestzeiten differierten zwischen 6:30 Std. und 14:01 Std. (Arithm. Mittel: 9:06, Std.abw. 1,62). Ein weiterer für uns wichtiger Punkt bezogen auf die sportspezifische Leistungsfähigkeit war die Trainingsleistung (in KM/Woche) sowie die Erfahrung der Probanden (in Jahre) in ihrer Sportart. Im arithmetischen Mittel verfügten die Probanden unserer Stichprobe über eine Lauferfahrung von 9,47 Jahren (Std.abw. 5,94) und trainierten im Schnitt 84,97 Kilometer pro Woche (Std.abw. 30,96, Range: 147).
2. Das Freiburger Persönlichkeitsprofil
Die Autoren des FPI schlagen vor die ermittelten Rohwerte in Stanine umzuwandeln. Die Umwandlung in Stanine ermöglicht es die eigenen ermittelten Werte mit den Standardwerten bestimmter festgelegter Altersgruppen der Eichstichprobe vergleichen zu können. Liegt ein ermittelter Stanin in dem Bereich zwischen 4 und 6, so befindet sich der Proband im unauffälligen Bereich. Liegen die Stanine nicht in diesem Bereich (also <4 oder >6) so ist der Proband auf dieser Persönlichkeitseigenschaft als auffällig zu bezeichnen. In Tabelle 1 sind die Mittelwerte der Stanine für die von uns untersuchte Gesamtstichprobe dargestellt.(*2)
Tabelle 1: Stanine-Mittelwerte Gesamtstichprobe (n=114)
Stanine | FPI-1 | FPI-2 | FPI-3 | FPI-4 | FPI-5 | FPI-6 | FPI-7 | FPI-8 | FPI-9 | FPI-10 | FPI-11 | FPI-12 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Ges. (n=114) | 6.30 | 5.46 | 5.77 | 4.79 | 4.62 | 4.51 | 4.62 | 3.61 | 5.07 | 5.03 | 4.87 | 3.85 |
(*2)Zur Erklärung: FPI-1=Lebenszufriedenheit, FPI-2:=Soziale Orientierung, FPI-3=Leistungsorientierung, FPI-4=Gehemmtheit, FPI-5:=Erregbarkeit, FPI-6=Agressivität, FPI-7=Beanspruchung, FPI-8=Körperl.iche Beschwerden, FPI-9=Gesundheitssorgen, FPI-10=Offenheit; FPI-11=Extraversion, FPI-12=Emotionalität
Ein erster Blick auf die Stanine der Gesamtstichprobe zeigt, daß die von uns
untersuchten Läufer und Läuferinnen weitestgehend im unauffälligen
Normbereich zwischen 4 und 6 liegen. Lediglich in den Skalen
"Lebenszufriedenheit", "Körperliche Beschwerden" und
"Emotionalität" liegen sie mit ihren Staninen knapp außerhalb des
Normbereichs in die positive Richtung (mehr Lebenszufriedenheit, weniger
Beschwerden, emotional stabiler).
Ein Stanine-Mittelwertsvergleich der Werte für die verschiedenen Persönlichkeitseigenschaften
zwischen Läufern mit persönlichen Bestzeiten unter bzw. über 9:10 Stunden
ergab lediglich einen signifikanten Unterschied auf der FPI-Skala
"Emotionalität". Die Läufer und Läuferinnen, die eine persönliche
Bestzeit schneller als 9:10 vorweisen, sind emotional stabiler und gelassener
als die Sportler mit langsameren persönlichen Bestzeiten.
Probanden mit einem Wochenkilometerdurchschnitt von mehr als 79 KM/Woche
erweisen sich als leistungsorientierter, klagen jedoch mehr über körperliche
Beschwerden und sind weniger lebenszufrieden.
3. Habituelle Streßverarbeitung
In Grafik 1 sind die Skalenmittelwerte der von uns untersuchten Stichprobe im
Vergleich zu den Werten einer nicht langstreckenlaufenden studentischen
Stichprobe (n=173) dargestellt.
Grafik 1: SVP-Stichprobe = männl.Studenten (n=173),
Vergleich Skalenmittelwerte der untersuchten Ultra-Marathonläufer/innen und
einer studentischen Vergleichsstichprobe (Janke et al. 1984 bezugnehmend auf
Janke, Capek & Pohl, 1983 &1984).
Ultra-Marathonläufer/innen (n=114)
Kaum Unterschiede zwischen den beiden Stichproben sind hinsichtlich der Bewältigungsstrategien "Ablenkung" und "Bedürfnis nach sozialer Unterstützung" festzustellen. Ultramarathonläufer und -läuferinnen liegen in den Werten der Bewältigungsstrategie "Aktive Bewältigung" und "Bagatellisierung" höher als die von Janke et. al. (1984) Studenten. Im Einsatz der Strategien "Aufgabe" und "Pharmakaeinnahme" unterscheiden sich die Ultramarathonläufer und -läuferinnen von der studentischen Vergleichsstichprobe mit deutlich niedrigeren Werten. Weiterhin wurden die Mittelwertunterschiede für die verschiedenen Bewältigungsstrategien von Läufern und Läuferinnen mit mehr bzw. weniger als 9 Jahren analysiert. Dabei konnten wir feststellen, daß die Läufer und Läuferinnen mit mehr sportartspezifischer Erfahrung signifikant mehr auf "Aktive Bewältigungsstrategien zurückgreifen als die Sportler und Sportlerinnen mit weniger Lauferfahrung Zwischen Läufern und Läuferinnen, die eine persönliche Bestzeit schneller bzw. langsamer als 9:10 aufweisen können keine signifikanten Unterschiede in der Streßbewältigung festgestellt werden.
übereinstimmend mit den Ergebnissen von Folkins & Wieselberg-Bell
(1980), Jung (1980) sowie der Studie unserer Arbeitsgruppe (1993) konnten wir
auch in unserer neuen Stichprobe keine bzw. nur unwesentliche Unterschiede im
Persönlichkeitsprofil von Ultra-Langstreckenläufern verglichen mit der nicht
ultra-langstreckenlaufenden Bevölkerung finden. Lediglich die Subskalen
Lebenszufriedenheit, Körperliche Beschwerden und Emotionalität liegen leicht
außerhalb des unauffälligen Bereiches der Normalbevölkerung und tendieren
eher in eine positive Richtung. Die Unterschiede sind jedoch so gering, daß sie
kaum erwähnenswert sind. Die Feststellung von Clintsome & Kostrubala (1977)
sowie Gontang et al. (1977), daß Langstreckenläufer und -läuferinnen
introvertierter sind als die Normalbevölkerung können wir nicht bestätigen.
Die Feststellung von Clintsome & Kostrubala (1977) sowie Gontang et al.
(1977), daß Langstreckenläufer und -läuferinnen introvertierter sind als die
Normalbevölkerung können wir nicht bestätigen. Ein Vergleich von Untergruppen
in unserer Stichprobe (Geschlecht, Trainingsumfang, Bestzeiten über 100KM als
unabhängige Variable) brachte im Gegensatz zu Morgan & Pollock (1977) in
Teilbereichen des Persönlichkeitsprofils signifikante Unterschiede. So erweisen
sich "schnellere" Läufer und Läuferinnen als emotional stabiler.
Schnellere Läufer gehen ihre Anforderungen gelassener an und verfügen über
ein hohes Selbstvertrauen. Diese Persönlichkeitscharakteristika, könnte sich
durchaus im Laufe einer individuellen sportlichen Entwicklung, aufgrund der häufigen
hervorragenden Bewältigung einer solch extremen sportlichen Anforderung
herausgebildet haben. Gesellschaftlich genießen sicherlich auch langsamer
laufende Sportler und Sportlerinnen Bewunderung. Dies spiegelt sich jedoch
offensichtlich nicht so sehr in der Entwicklung emotionaler Stabilität wieder,
wie etwa bei schnelleren Athleten. Das Ergebnis, daß Athleten mit einem höheren
Trainingsumfang leistungsorientierter sind, jedoch mehr über körperliche
Beschwerden klagen erscheint uns einleuchtend. Hohe Trainingsumfänge deuten im
Prinzip immer auf die Ausübung einer Sportart mit einer bestimmten
Leistungsorientierung hin. Mit hohen Trainingsumfängen sind jedoch auch häufig
Verletzungsprobleme und wie Uhlenbruck (1990) insbesondere im extremen
Ausdauerbereich feststellte, auch eine Schwächung des Imunsystems verbunden.
Dies drückt sich deutlich in diesem Ergebnis aus. Eine direkte Folge aus diesem
Zusammenhang könnte sich direkt in der signifikant niedrigeren
Lebenszufriedenheit der Läufer mit hohen Trainingsumfängen niederschlagen.
Die von uns untersuchten Sportler und Sportlerinnen unterscheiden sich in
Teilbereichen der habituellen Streßbewältigung im Vergleich zu einer
studentischen Stichprobe. Die von uns untersuchten Ultramarathonläufer und -läuferinnen
bevorzugen sowohl "aktive Bewältigungstrategien" als auch
Selbstinstruktionen, die ein auftretendes kritisches Ereignis
"bagatellisieren". Unsere Probanden nutzen vergleichbar weniger
Strategien der "Aufgabe" und "Pharmakaeinnahme. Nur geringe
Unterschiede konnten wir in der Anwendung der Strategien "Bedürfnis nach
sozialer Unterstützung" und "Ablenkung" feststellen. Ausgehend
von den überlegungen von Schlicht und Mitarbeitern (1990), der den Einsatz
problemorientierter (also eher aktiver Bewältigungsstrategien) als wirksam
und angemessen dann empfiehlt, wenn ein Stressor subjektiv kontrollierbar
bewertet wird und den Einsatz von "emotionszentrierten Bewältigungsstrategien"
vorschlägt (z.B. Aufgabe, Ablenkung, aber auch Bagatellisierung), wenn die
auftretende Situation als wenig bzw. gar nicht kontrollierbar bewertet werden
kann wollen wir unsere Ergebnisse diskutieren.
Die Tatsache, daß ultramarathonlaufende Sportler und Sportlerinnen
offensichtlich eher zu aktiven Bewältigungshandeln neigen, könnte ein Ergebnis
der Ausübung ihrer Sportart sein. Wie wir aus verschiedenen Publikationen (z.B.
Sonntag (1985), Stoll (1995), Ziemainz (1995)) und auch eigenen Erfahrungen
wissen, beschäftigen sich gerade diese Ausdauersportler besonders intensiv
sowohl mental als auch organisatorisch im Vorfeld ihrer Wettkämpfe mit dem
bevorstehenden Ereignis. Diese intensive Beschäftigung mit dem Ereignis im
Vorfeld hat unseren Erachtens die Aufgabe die Situationen besser kontrollieren
zu können. Wenn wir weiterhin davon ausgehen, daß Streßverarbeitungsstrategien
beim Menschen weitestgehend erlernt werden und sich dieses Lernen vorwiegend
nach dem Prinzip des Lernens am Erfolg und des Modellernens an Hand von
Belastungssituationen vollzieht, dann ist denkbar, daß sich
ultramarathonlaufende Athleten den Einsatz "problemorientierter
Copingstrategien" im Laufe ihrer sportlichen Entwicklung anhand eines
lerntheoretischen Modells angeeignet haben. Zusammenfassend läßt sich jedoch
feststellen, daß die "habituelle Streßbewältigung", also die Art
und Weise wie Menschen im Allgemeinen mit kritischen Situationen umgehen, kaum
einen leistungsbeeinflußenden Effekt hat. Dies zeigt sich in dem Ergebnis, daß
sich schnellere Athleten/innen nur unwesentlich von langsameren Läufern/innen
hinsichtlich ihres Persönlichkeitsprofils und ihres Bewältigungsverhaltens
unterscheiden.